Schon wieder ist ein Jahr um. Nun hat es sich so eingebürgert, dass „alle Welt“ dies zum Anlass nimmt, um kurz so zu tun als hielte man inne und blickte zurück, um danach genauso weiterzumachen wie zuvor. Insofern muss ich mich selbst zitieren: Jahresrückblicke sind eigentlich per definitionem doof.
Um aus dem Irrsinn aber etwas Sinn zu geben, habe ich beschlossen, nicht einfach zurückzublicken, sondern auch Konsequenzen zu ziehen – zumindest ist das mein Plan. Wie 2015 wird, kann ich also nicht sagen. Wie der Jahresrückblick wird, weiß ich aber recht gut … (… sagte er, bevor er tatsächlich schrieb, was Ihr nun lesen könnt).
Ich habe also den Rückblick von 2013 (siehe auch: 2012) wieder aus der Garage geholt, ihn gereinigt und gefettet und die alten Antworten durch neue ersetzt. Wo ich schon einmal dabei war, entschied ich mich für eine kleine Modifikation und rückte ihn mit ein paar anderen Fragen ein wenig näher an meine ursprüngliche Inspiration: den Jahresrückblick von Anke Gröner. Und Abfahrt!
Mehr Kohle oder weniger? Wollt ihr mehr haben? Dann fahrt an die Nordsee. Soviel dazu.
Mehr ausgegeben oder weniger? Ist es geistreich, mehr auszugeben, wenn man weniger hat? Nein. Geist hin, Geist her, irgendwer muss ja die Wirtschaft ankurbeln. Außerdem gab es da einen Umzug samt Neueinrichtung (nicht schön, aber nötig) und zwei Tage Disneyland (nicht nötig, aber schön).
Mehr bewegt oder weniger? Mehr. Vermutlich war es mehr, aber da ich das nicht tracke, kann ich mich nur auf mein Gefühl verlassen, und das spricht von der einen oder anderen Critical Mass, vom Stadtradeln und der einen oder anderen Radtour zur Verwandtschaft im Saarland.
Der schönste Moment? Weihnachten in Greetsiel, nicht nur mit der adoptierten Hobbitfamilie, sondern auch mit dem Kerl. Was alles möglich ist, wenn alle wollen … Wow!
Das eindrücklichste berufliche Erlebnis? Jemandem wie mir, der in einem Job mit sehr vielen sehr kritischen Stichtagen (neudeutsch ja gerne auch „Deadlines“ geheißen) arbeitet, bleiben gewisse Daten doch in Erinnerung. Für mich war es in diesem Jahr der 24. März, denn er markiert das Datum, an welchem wir die ersten fertig gedruckten und gebundenen Exemplare des Weißbuch Lunge 2014 in den Händen halten und direkt zum Kongress der Pneumologen versenden konnten. Damit war es auch der Tag, an dem zwei sehr stressige Monate ihr Ende fanden, denn den Auftrag zur Erstellung dieses Buches hatten wir erste Ende Januar erhalten. Was in den zwei Monaten gelang, war beachtlich: Wir entwarfen ein Design für das Buch und legten Schriften und Abbildungsstile fest, wir übernahmen den Text, kümmerten uns um das Lektorat, gestalteten Abbildungen und sorgten schließlich für den Druck und die Bindung – und das alles wirklich in nur zwei Monaten. Am Ende waren es 170 interessante Seiten, über 60 Abbildungen und eine Punktlandung. Dass ich dabei mit meinem Gestaltungsentwurf überzeugen konnte, entschädigte für alle Mühen. Was will man mehr?
Der hirnrissigste Plan? War es wirklich hirnrissig oder doch nur eine Verzweiflungstat, auf die Nominierung zur Ice Bucket Challenge mit #bakingforhope zu reagieren? Für letzteres spricht einiges, vor allem meine persönliche Situation zum Zeitpunkt der Nominierung. Für ersteres spricht allerdings ebensoviel, nicht zuletzt meine Scheu, auf fremde Menschen zuzugehen, zumal ich dieses Mal ja auch noch diese Menschen von einer guten Tat überzeugen wollte. Aber das trifft es nicht schlecht: Statt sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf zu schütten, ein halbes Jahr lang Bienenstich zu backen und damit um Spenden zu werben, das ist hirnrissig. Ich möchte es dennoch nicht missen.
Die gefährlichste Unternehmung? Ist die Teilnahme an einem von Adobe organisierten Influencer-Event gefährlich? Eigentlich nicht. Wenn man allerdings als letzte Amtshandlung vorm Schlafengehen vor der Abreise ausprobiert, wie weit man ein mit einer Person belegtes Bett aus dem Stand treten kann – zwanzig Zentimeter, falls es wem hilft –, dann kann man die Adobe Creative Jam schon gefährlich nennen. Das Ende vom Lied: nächtlicher Ausflug in die Notaufnahme, noch nächtlicheres Telefonat mit der Apotheke im Berliner Hauptbahnhof, Humpeln durch den Berliner Hauptbahnhof zu den Krücken und dann immer nur während der ganzen Veranstaltung auf Krücken. Am Ende wusste ich um einige Stellen mehr, an denen es wohl Muskeln hat, und war um eine Trophäe reicher. Außer Gefecht gesetzt war ich aber trotzdem.
Der beste Sex? Jou.
Die teuerste Anschaffung? Eine zweitägiger Ausflug nach Marne-la-Vallée, um dort überlebensgroße Zeichentrickfiguren zu bewundern und stundenlang vor Fahrgeschäften anzustehen (andere nennen dieses Elend „Disneyland“). Am teuersten wog an diesem Unterfangen aber etwas ganz anderes. Aber das war auch viel wertvoller.
Das leckerste Essen? Eigentlich esse ich ja nur lecker, aber wenn ich etwas hervorheben müsste, dann Bienenstich. Den gab es aus Gründen im abgelaufenen Jahr so oft, dass ich ihn inzwischen eigentlich im Schlaf können sollte, hätte ich nicht ständig mit dem Rezept experimentiert. Ein Gutes hat das aber auch: Ich habe nun ein wunderbares nicht-veganes und ein ebenso tolles veganes Rezept erarbeitet, und damit 130 Euro an Spenden sammeln können.
Das beeindruckendste Buch? Deutschland vegetarisch. Es ist ein Kochbuch. Es ist ein schönes Buch. Es hat unzählige tolle, bodenständige, feinsinnige und sonstwie aufregende Rezepte, und das ganz ohne Fleisch. (Und es hat Verwandte aus anderen Ländern.)
Der ergreifendste Film? 2014 war mal so gar kein Kinojahr. Es war eher ein Will-ich-sehen-ging-dann-aber-doch-nicht-ins-Kino-Jahr. Letztlich war ich nur zweimal im Kino, sah aber dafür umso mehr in den diversen Mediatheken und bei Netflix und Amazon Instant Video. So gesehen kann eigentlich nur ein Film auf diesem Treppchen landen, weil bei ihm einfach alles stimmte: „Nichts für Feiglinge“ mit Hannelore Hoger und Frederick Lau. Die Besetzung, die Geschichte, die Bilder, der Soundtrack; das war ein Traum. Die Dialoge waren auf den Punkt gebracht und das Thema ging mir so nah, da blieb nur eines für diesen kleinen Fernsehfilm: ein Platz in meinem Herzen.
Die beste Musik? Spotify sagt, mein Album des Jahres wäre „Pierre Bouteiller: Requiem pour Voix d’Hommes“ gewesen. Dass es ein schönes Album ist und die Musik mich auf unnachahmliche Weise zurück auf den Boden holen kann, sei auch unbestritten. Aus vielen Gründen ist es aber doch ein anderes Lied: „Rise Like A Phoenix“ von Conchita Wurst. Es steht für so viel mehr.
Das schönste Konzert? Haldern Pop, Melt Festival, Rock am Ring? Es kann nur ein wahres Musikfestival geben: Die Tage Alter Musik in Herne. Zwar gibt es keine großen Bühnen und auch keine Übernachtungen im Zelt, aber das Programm ist jedes Jahr hochkarätig und die Preise sind deutlich moderater. (Irgendwelche Vorteile muss es ja haben, dass ich musikalisch in so eine Nische krieche.) Dass ich mir dann mit einem Kirchenkritiker ein Oratorium anschaute: nu. Dass es für ihn der erste Ausflug zu so alter Musik war: nu. Schön war es trotzdem, oder gerade deshalb. Der gute Herr Caldara wusste eben, was er tat, als er da „Maddalena ai piedi di Cristo“ komponierte.
Die interessanteste Ausstellung? Es war nicht viel, aber es war viel. Amsterdam, Rijksmuseum. Viel zu wenig Zeit für viel zu tolle Malerei. Allein dafür lohnt sich ein Wochenende in dieser schönen, grachtenreichen Stadt.
Der spannendste Theaterbesuch? Da die Auswahl hier nicht allzu groß ist, bleibt mir nur eine Antwort: „Viel Lärmen um Nichts“ im Schauspielhaus Wuppertal nach Shakespeares quasi gleichnamiger Komödie, allerdings unterlegt mit Bühnenmusik von Wolfgang Korngold. Was soll ich sagen? Es gab eine Anspielung auf die Schließung des Wuppertaler Opernhauses als Ensembletheater. Unterhaltsam war der Abend, kurzweilig war er und ein wenig überdreht und stereotyp – aber das Bodyshaming hätte, auch und gerade als komödiantisches Mittel nicht sein müssen.
Der schönste Ort? Wuppertal. Ohne Wenn und Aber, ohne Ironie.
Das nötigste Gadget? Öfter mal was Neues: meine Brille. Ohne Brille finde ich selbst die nicht.
Die wichtigste Erkenntnis? Don’t be everybody’s darling.
Die unwichtigste, aber witzige Erkenntnis? „Der Duschkopf meiner Tante hat drei Einstellungen: ‚Massage‘, ‚Jet‘ und ‚Pain‘. (Warum ich nicht ohne Brille duschen gehe.)“
Das bedeutsamste Spiel? Schach. Immer und immer wieder.
Die meiste Zeit verbracht mit …? Gegrübel.
Die schönste Zeit verbracht mit …? dem Kerl.
Vorherrschendes Gefühl 2014? Gerade noch angenehme Belastung mit unangenehmen Überforderungsspitzen.
2014 zum ersten Mal getan? Für ein Wochenende zum Nachdenken an einen fremden Ort gefahren. Breisach ist aber auch eine Reise wert.
2014 nach langer Zeit wieder getan? Angefangen eine Sprache zu lernen.
Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können? Blicke auf meinen Kontostand, einen ganz speziellen Arztbesuch und eine selbstverschuldete Funkstille.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Dass jemand so viel besser und toller ist als er sich selbst sieht.
Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe? Ein gemeinsames Weihnachtsfest.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ein Weihnachtsfest mit dem Kerl.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? „Soll ich Dich Igel nennen?“
Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? „Kann es sein, dass Du mir bekannt vorkommen solltest?“
2014 war mit einem Wort? Reich.
Gute Vorsätze für 2015? Weniger Gehuddel, mehr direkte Reaktion.
Foto: c@rljones – CC-BY-NC-SA – flickr.com
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