Schon wieder ist ein Jahr um. Obwohl es sich so eingebürgert hat, dass viele dies zum Anlass nehmen, um kurz so zu tun als hielten sie inne und blickten zurück, um danach genauso weiterzumachen wie zuvor, will ich mich diesem Reigen anschließen. Insofern muss ich mich selbst zitieren: Jahresrückblicke sind eigentlich per definitionem doof.
Um dem Irrsinn aber etwas Sinn zu geben, habe ich beschlossen, nicht einfach zurückzublicken, sondern auch Konsequenzen zu ziehen – zumindest ist das mein Plan. Wie 2018 wird, kann ich also nicht sagen. Wie der Jahresrückblick wird, weiß ich aber recht gut … (… sagte er, bevor er tatsächlich schrieb, was ihr nun lesen könnt). Ich habe also den Rückblick von 2016 (siehe auch: 2015, 2014, 2013, 2012) wieder aus der Garage geholt, ihn gereinigt und gefettet und die alten Antworten durch neue ersetzt. In diesem Sinne: Abfahrt!
Mehr Kohle oder weniger? Mehr. Was so ein Jobwechsel alles bewirken kann.
Mehr ausgegeben oder weniger? Mehr. Was mehr Einkommen alles bewirken kann.
Mehr bewegt oder weniger? Och. Einerseits war da ein vom Schienennetz genommenes Wuppertal, was mich spaßeshalber die Osterferien mit dem Rad zur Arbeit pendeln ließ. Andererseits war da ein vom Schienennetz genommenes Wuppertal, was mich (vor allem aufgrund einiger guter Bücher) in den Sommerferien mit dem Bus zur Arbeit pendeln ließ. Haushohes Unentschieden.
Der schönste Moment? Utrecht, am ersten Wochenende. Es war, als wäre ich nach Hause gekommen.
Das eindrücklichste berufliche Erlebnis? Windeln. Was man halt so macht, wenn es nötig ist. Ich fühl’ mich jetzt noch völlig lupilu.
Der hirnrissigste Plan? Vom klassischen Sixpack-Radreisen zum Bikepacking übergehen zu wollen. Sagen wir es mal so: Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen, aber mit der ersten Nacht – die thanks to a special kind of Nervenkitzel nicht wirklich lang oder erholsam war – auf einem nicht als Campingplatz ausgewiesenen Fleckchen Grün habe ich das Schlimmste vorerst wohl hinter mir.
Die gefährlichste Unternehmung? Eine Wurst essen zu wollen. Die Wurst gab es nicht, also wurde es ein Burger – ein scharfer Burger. Ein sehr scharfer Burger. Ein scheißeverdammteheidewitzka ist das scharfer Burger. Er fing so nett an, wiegte und wogte mich in Sicherheit und biss dann unvermittelt zu: 300.000 Scoville, als wäre er mit Pfefferspray gewürzt gewesen. Mir brannte die Zunge, mir kratzte der Hals, Stirn und Wangen wurden taub – und das Atmen machte alles nur noch schlimmer. Merke: Manchmal meint „sehr scharf“ wirklich sehr scharf. Manchmal braucht es aber auch erst eine Wurstfabrik für richtig gute Burger.
Der beste Sex? Jou.
Die teuerste Anschaffung? Ein neues Rad. Was man halt so macht, um der Formel x = n + 1 genüge zu tun, wenn x für die Anzahl der benötigten und n für die Anzahl der bereits vorhandenen Fahrräder steht. Man sollte der Ehrlichkeit halber aber auch erwähnen, dass Rad Nummer 2 deutlich leichter ist und einen Rennradlenker hat. Damit kann ich nun ein ganz neues Territorium erobern.
Das leckerste Essen? Ein Abendessen bei Claudia und Deborah in der Cantinetta Wine & Pasta in Amsterdam West. Abgesehen von einem fast schon klassisch zu nennenden Missverständnis bei der Reservierung war der Abend perfekt. Wahrscheinlich machte ihn das Ergebnis der vermeintlich verloren gegangenen Reservierung sogar noch besser. Wir saßen an der Theke, die Küche im Blick und die Gäste im Rücken und wie sich das gesamte Team um uns kümmerte, wäre mit rührend nur unzureichend beschrieben. Vom Entschuldigungs-Sekt bis hin zum Abschieds-Limoncello war es unbeschreiblich gut. Reserviert und geht selbst hin – und bedankt euch bei Karl und Daan, ohne deren Blog Couple of Men ich nie von der Cantinetta erfahren hätte. Van harte dank.
Das beeindruckendste Buch? Wirklich beeindruckend war es jetzt nicht unbedingt, aber interessant durchaus: „Die Niederlande. Ein Länderbericht“, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung. Selten habe ich ein Buch gelesen, das so nüchtern ein Land zu porträtieren versucht, aber wen das nicht abschreckt, der hat das Schlimmste eigentlich schon geschafft.
Der ergreifendste Film? Irgendwie war da nix, was länger hängenblieb, aber Serien gab es dafür umso mehr, weswegen ich mal davon eine herauspicken will – und es ist nicht „Star Trek Discovery“, auch wenn ich es sehr mag. „La Trêve“ ist eine sehr schöne belgische Serie, die so ein bisschen Krimi, so ein bisschen Thriller und so ein bisschen Landschaftsdoku ist und so gar nicht auf den 80er-Jahre-Hype-Zug aufspringt, stattdessen aber in den belgischen Ardennen spielt und sich wunderbar langsam entfaltet – ein bisschen wie Broadchurch, nur ganz anders.
Die beste Musik? „Kind“ von Dillon ist so ein Album, das konnte ich an manchen Tagen rauf- und runterhören, ohne dass es mir fad wurde, und wenn das nicht half, dann gab es noch Jonas Alaska oder die „Hypersuites“ von Marina Baranova.
Das schönste Konzert? „AscheMOND oder The Fairy Queen“ von Helmut Oehring in der Oper Wuppertal. Zu sagen, es wäre das schönste Konzert gewesen, greift aber deutlich zu kurz, denn schön im Sinne von ansprechend, angenehm oder bezaubernd war es nicht unbedingt, doch dafür muss ich ein wenig ausholen. … AscheMOND war eine Auftragskomposition der Staatsoper Unter den Linden, die Helmut Oehring, Sohn gehörloser Eltern, auf der Basis von Henry Purcells Oper „The Fairy Queen“ schuf. Dabei versuchte er die Klänge seiner Kindheit und die Welt der Gehörlosen in sein Werk einzubeziehen und dem Verlust und dem Umgang mit Verlusten eine tonale Sprache zu geben. Auch wenn das Programmheft klarstellte, dass die Oper dabei keine fortlaufende Handlung abbildet, gelang es der Inszenierung doch, in drei sehr unterschiedlichen Bühnenbildern den Bogen vom Kennenlernen bis zum schmerzhaften Abschied zu spannen und jedem Bild ein anderes Ende mitzugeben, einzig verbunden durch das Schicksal der Fairy Queen selbst, dargestellt von der gehörlosen Tänzerin Kassandra Wedel. Musikalisch war das nicht immer einfach, oft sogar sehr anstrengend, denn wirklich ins Ohr gingen mir nur die Melodiefragmente aus Purcells Fairy Queen, aber es war intensiv. Es rührte mich zu Tränen, so aktuell, so allgemeingültig und so hoffnungslos bitter war das, was ich zu sehen und zu hören bekam. Diese Oper war kein Vergnügen, aber gerade das machte sie so gut. Sie war politisch und poetisch zugleich. Nur schade, dass so wenige das miterlebten.
Die interessanteste Ausstellung? Die Dauerausstellung im Van Gogh Museum in Amsterdam.
Der spannendste Theaterbesuch? Keiner. Nächstes Jahr wird besser.
Der schönste Ort? Utrecht, egal wo.
Das nötigste Gadget? Mein Rad. Ohne wäre ich noch weniger unterwegs und noch mehr auf der Flucht vor mir selbst gewesen.
Die wichtigste Erkenntnis? Ich bin bisweilen ein recht beschissener Freund.
Die unwichtigste, aber witzige Erkenntnis? Selbst im Kopfkino läuft schlechte Werbung.
Das bedeutsamste Spiel? Backgammon, weil ich jetzt erst kann.
Die meiste Zeit verbracht mit …? … Grübeleien, wie ich Dinge wieder gerade biegen kann.
Die schönste Zeit verbracht mit …? … ehemals fremden Menschen.
Vorherrschendes Gefühl 2017? Unzufriedenheit.
2017 zum ersten Mal getan? Auf einer fremden Couch gesurft.
2017 nach langer Zeit wieder getan? Sojamilch getrunken (und sie hat sogar geschmeckt). Sie dann aber selbst zu organisieren war nicht ganz so einfach.
Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können? Fehlende Wörter, vorhandene Unlust und ein Todesfall.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte? Ach, lassen wir das. Zumindest in diesem Jahr.
Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe? Ein Fuchs aus Papier.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat? Ein Kirchturm aus Blech.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat? „Utrecht also misses you.“
Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe? „There is some kind of file all the way down to the fietsenstalling.“ (Nichts ist schöner als zwei Sprachen miteinander zu verschmelzen, wenn es gerade passt.)
2017 war mit einem Wort? Verbesserungswürdig.
Gute Vorsätze für 2018? Wörter finden.
Foto: Luxembourg belge – CC-BY-SA – flickr.com
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