200 Kilometer an einem Tag, das sind Distanzen, die bei der Tour de France zurückgelegt werden. Mag sein, dass ich eines Tages auch mal so weit fahren werde, an diesem Tag hatte ich es weder vor noch tat ich es. Am Ende war ich dennoch knapp 200 Kilometer von meinem Startpunkt entfernt, wenn auch nicht ganz freiwillig.
Doch zurück ins Camp Hammer. Sterne gesehen hatte ich also keine. Geschlafen hatte ich allerdings gut und offenbar auch reichlich, denn so früh war es auch nicht, als ich dann endlich aufbrach. Dabei machte mir das Camp Hammer es eigentlich recht leicht. Mir standen allein zwei Richtungen zur Auswahl, und beide führten an der Rur entlang. Ich entschied mich dann für den Weg an der Rur entlang. Da ich aber noch nicht zurück fahren wollte, erreichte ich nach knapp 10 Kilometern Monschau.
Monschau.
6.000 Einwohner, wovon knapp 4.000 alte Frauen sind, die wiederum in Fachwerkhäusern neben und über der Rur wohnen. Dass Monschau laut offiziellen Zahlen auf doppelt so viele Einwohner kommt, liegt an den ganzen Eingemeindungen von Konzen bis Imgenbroich.
Konzen, Höfen, Rohren; so weit so gut; zwei-Silben-Wörter, die auch als Verben durchgehen könnten, wüsste man nur, was konzen für eine Tätigkeit, und ob sie erfüllend ist.
Kalterherberg, aus Gründen so genannt. Wenn irgendwo der Winter den Westen erreicht, dann zuerst dort.
Mützenich, dessen Name auf Karl den Großen zurückgeht – denn als der noch klein war, ritt er einst von Aachen aus und musste dort in der Nähe übernachten, was er dann auf einem Felsen tat – der deswegen Kaiser Karls Bettstatt heißt –; und als ihm sein Diener dann aufgrund der eher lauschigen Temperaturen (Kalterherberg war halt nicht weit) dessen Kopfbedeckung anbot, erwiderte er (die Jugend von heute war halt schon damals unnötig stolz) „Mütze? Nich!“.
Und zuletzt Imgenbroich – was auch nur aussprechen kann, wer von dort kommt oder Eingeborenen zuhören konnte.
Monschau also. Zuletzt war ich dort für meinen Zivildienst gewesen, und das war nun auch schon wieder fast zehn Jahre her. Insofern war es mir nicht ganz fremd, weswegen ich keinen Stopp für das Rote Hause einlegen musste. Andererseits kam ich auf dem Kopfsteinpflaster eh nicht schnell voran. Dafür konnte ich Monschau nun einmal auf neuen Wegen verlassen. Bisher hatte ich es ja nur mit dem Bus von Aachen erfahren. Jetzt hielt ich mich einfach an die Rur und stieß beim Bahnhof Leykaul auf mein erstes Stückchen Belgien: die Vennbahntrasse.

Die Vennbahntrasse als solche ist ja auch ein Kuriosum. Sie führt von Aachen hoch in die Eifel und bis nach Troisvierges in Luxemburg, selbst wenn der deutsche Name von Troisvierges „Ulflingen“ lautet, was auch viel näher am Lëtzebuergischen „Ëlwen“ liegt. Früher fuhren auf ihr noch Züge. Lag sie ursprünglich mehrheitlich auf deutschen Gebiet, verschob der erste Weltkrieg die Grenzen derartig, dass sie fortan ständig das Staatsgebiet wechselte, bis Belgien sich 1920 durchsetzte und die Vennbahn aufgrund der Bedeutung für das nun belgische Eupen und Malmedy unter belgische Verwaltung gestellt wurde, auch wenn mancherorts links und rechts der Gleise Deutschland ist. Daran hat sich im Grunde genommen auch nichts geändert, nur dass inzwischen keine Züge mehr fahren und vielerorts die Gleise durch einen gut ausgebauten Radweg ersetzt wurden.

Bis nach Troisvierges sollte es dieses Mal aber nicht gehen. Weywertz sollte mir reichen. Dort wechselte ich von der Vennbahn auf die Vennquerbahn, von RAVel Ligne 48 auf RAVeL Ligne 45A. Ich wollte zurück in die Eifel, und das ging am bequemsten am Bütgenbacher See entlang, auf einer anderen ehemaligen Bahntrasse. Auch heute noch steht Troisvierges als Ziel auf meiner nicht geführten Bucket-List.
Kurz vor Honsfeld ereilte mich dann das Schicksal. Mein Handy vibrierte. Gut. Genau genommen hatte ich es den Tag über ohne Mobilfunkverbindung genutzt, weil ich den Akku schonen wollte, da ich den ganzen Strom zur Navigation brauchte. Jetzt, da ich für ein paar Minuten pausierte – es war sehr warm und sonnig und ich hatte Durst –, wollte ich einen kurzen Blick ins Internet werfen. Stattdessen bekam ich ein paar SMS über verpasste Anrufe und eine SMS vom Vortag mit der Bitte um Rückruf. Es war mein Vater, der mich bat schnellstmöglich ins Dorf meiner Großeltern zu kommen. Ich ahnte schon, was passiert war, und mein Rückruf bestätigte meine Befürchtung.

Ist es nicht faszinierend, dass ich von den ganzen Kilometern davor kaum noch etwas weiß, sich aber die Kilometer nach diesem Anruf bis zum nächsten Bahnhof in Jünkerath, an dem ich dann wiederum keinen Empfang hatte, in ihrer ganzen Schönheit trotz meiner Raserei über ein halbes Dutzend weiterer Landesgrenzen eingebrannt hat? Und ist es nicht noch kurioser, dass meine Großmutter ungefähr zu der Zeit starb, zu der ich im Camp Hammer einschlief? Eine bessere Erinnerung, dass Korrelation nicht gleich Kausalität gibt, kann ich mir für mich nicht vorstellen. Wobei: Wenn ich damit falsch liege, haben wir ein Problem.
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